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Samstag, 12. September 2015

Zuckersüße Schwangerschaft


Diagnose Schwangerschaftsdiabetes – klasse, denkt sich da jede Frau und macht sich natürlich sofort Sorgen um das Kind. Es besteht die Gefahr, dass die Kinder bei Schwangerschaftsdiabetes der Mutter das Insulin für diese mitproduzieren müssen. Das Kind wächst daraufhin viel schneller als üblich – nur die Organe haben nicht dasselbe Wachstum. Also alles Faktoren, die man als werdende Mutter selbstverständlich vermeiden möchte. Spaßen sollte man damit nicht, eine Freundin von mir hatte wirklich Schwangerschaftsdiabetes, ein Freund von mir ist Diabetes Typ II. Aber manchmal lohnt es sich auch, zu hinterfragen.
Zwischen dem sechsten und siebten Monat hieß es auch bei mir „Zuckertest“ machen. Die freundliche Arzthelferin versuchte gleich, mir den großen Zuckertest aufzuschwatzen. Denn es gibt natürlich Unterschiede.
-          Der kleine Zuckertest wird nicht nüchtern durchgeführt. Die Schwangere trinkt eine Flüssigkeit mit 50g Glukose. Nach einer Stunde wird Blut abgenommen und der Blutzuckerwert gemessen. Das zahlt die Krankenkasse.
-          Beim großen Zuckertest muss man nüchtern erscheinen. Insgesamt wird dreimal Blut abgenommen. Zuerst nüchtern. Dann trinkt die Schwangere eine Flüssigkeit mit 75g Glukose. Nach einer Stunde und nach zwei Stunden wird jeweils nochmals Blut abgenommen. Das zahlt die Krankenkasse nur, wenn der kleine Test vorher schon auffällig war. Macht man den großen Test gleich, zahlt man selbst…
Soviel zur Theorie… Ich sagte der Arzthelferin, dass ich nur den kleinen Zuckertest mache. Sie: „Falls die Werte auffällig sind, müssen Sie den großen aber trotzdem machen.“ Ja, und? Dann ist es eben so. Ein Verdacht auf Gestationsdiabetes bestand bei mir ja nicht. Die Zuckerlösung war widerlich, knallgelb und schmeckte nicht wie leckere Limonade. Augen zu und durch…
Randbemerkung: In diesem Zeitraum hatte ich wahnsinnig viel Stress. Wir wollten umziehen, rücksichtslose Menschen hackten auf der Schwangerschaft rum und ich kam nicht wirklich zur Ruhe. Später erfuhr ich, dass das den Blutzuckerwert in die Höhe schnellen ließ. Aber weiter im Text.
Nach einer Woche erhielt ich abends gegen kurz vor 20 Uhr einen Anruf aus der Frauenarztpraxis. Das Ergebnis des Glukosetoleranztests besagte, dass der Wert leicht erhöht sei. So die Information der Arzthelferin. Ich solle doch bitte am darauffolgenden Tag morgens um acht Uhr kommen und den großen Zuckertest machen. Die Bedingungen: 12 Stunden lang nichts essen, nichts trinken. Auch kein Wasser. Klasse, dachte ich mir, aber ich hielt mich dran. Zwei Wochen später erfuhr ich übrigens, dass man Wasser trinken darf.
Mit jeder Menge Durst erschien ich dann am nächsten Morgen in der Praxis. Blut abnehmen lassen, Zuckerwasser trinken (schmeckte zum Glück nach dem Eisensaft, den man in der Apotheke bekommt), warten. Glücklicherweise sind im Wartezimmer in der Regel jede Menge Zeitschriften. Während ich mich also darüber informierte, was denn die Schönen und Reichen dieser Welt gerade anstellen, ging die Zeit wenigstens ein bisschen rum. Wer ist schwanger bei den Königlichen? Wann kommt das Baby? Wer hat wen betrogen – seichte Lektüre, die wenigstens nicht anstrengend ist. Dazu kommt der Plausch im Wartezimmer. An diesem Morgen schienen einige Schwangere anwesend zu sein. Man verglich also, wer wie weit schon ist, wird es ein Junge oder Mädchen, wie viel hat die andere schon zugenommen, oh, Sie haben es aber gut, gibt es schon weitere Geschwister,… alles hochspannend. Nach einer Stunde dann die Flucht ins Labor. Blut abnehmen. Dann das Spielchen wieder von vorne. Schwangerentalk, Promiklatsch,… Wieder eine Stunde später nochmals Blut abnehmen. Ärzte scheinen Vampire zu sein. Dann endlich nach Hause.
Einige Tage später wieder so ein netter Anruf aus der Praxis. Der Nüchternwert des Zuckertests ist leicht erhöht, teilte mir die kompetente Sprechstundenhilfe am Telefon mit. Ich solle doch bitte vorbeikommen, eine Überweisung zum Diabetologen abholen und mit ihm über eine Ernährungsumstellung nachdenken. Die Frage, die mir durch den Kopf schoss: Warum empfiehlt mir die Sprechstundenhilfe eine Ernährungsumstellung? Sie weiß doch gar nicht, was ich esse und wie ich lebe? Oder waren wir in einem früheren Leben schon einmal befreundet und sie kennt mich? Bin dennoch brav hingedackelt und habe meine Überweisung abgeholt. Nicht ohne erneut den Hinweis der freundlichen jungen Dame zu erhalten, dass ich mich mit dem Diabetologen über eine Ernährungsumstellung unterhalten sollte. Ich hielt Rücksprache mit einer Hebamme. Die versicherte mir, dass ich kerngesund bin – kein Diabetes habe.
Und da ich selbst von meiner Gesundheit überzeugt war, weigerte ich mich. Bis zum nächsten Besuch bei meiner Ärztin – da hatte ich dummerweise Zucker im Urin. Also ließ ich mich breitschlagen und verabredete einen Termin beim Diabetiker. Zwei Tage später rollte ich dort an. Merke: Zeit mitbringen! Als erstes gab es ein 45-minütiges Gespräch mit der Ernährungsberaterin. Spannend *gähn* Sie schrieb sich genau auf, was ich so esse und trinke: Vegetarierin, Obst, Joghurt, Wasser, Kaffee, Tee – ab und zu Süßkram. Klingt eindeutig nach einem Fall für Schwangerschaftsdiabetes. Die Beraterin meinte dann, es könnte sein, dass ich wegen des Nüchternwertes abends eine kleine Dosis Insulin spritzen müsse. Auf jeden Fall gab sie mir ein Blutzuckermessgerät mit. Sie hackte noch ein wenig darauf rum, dass mein Baby von der Entwicklung zwei Wochen hinterher sei – und erst in der 29. Woche, nicht in der 31. Woche. Drama. Dann klärte sie mich noch darüber auf, dass die Beratung ja so teuer ist und die Krankenkasse das aber zahlt und blablablabla… Ich schaltete auf Durchzug. Danach ab ins Wartezimmer, bis ich wieder aufgerufen wurde. Der Höhepunkt des Tages nahte, ich sollte mit einem leibhaftigen Diabetikerarzt sprechen. Es folgte der nächste Vortrag über Gefahren von Gestationsdiabetes, Ursachen und so weiter. Ein Blick auf mich: „ An Ihrer Ernährung kann es nicht liegen.“ Gewichtszunahme bis dahin – wenig. Ach neee… Dann kamen endlich die interessanten Dinge des Tages. An meiner Ernährung könnte ein Gestationsdiabetes nicht liegen. Wenn, dann sei es ein genetischer Defekt. Huch – endlich mal eine neue Information. Viel spannender war aber auch die Info, dass es durchaus schon vorgekommen sei, dass Blut, das direkt untersucht wird, einen anderen Wert hat, als Blut, das erst einige Stunden später im Labor geprüft wird. Wir verblieben dabei, dass ich eine Woche lange fleißig piekse und messe. Dann solle ich mich melden und eventuell wird ein weiterer Blutzuckertest gemacht. Meine Ärztin sollte außerdem einen Brief erhalten, worin das stehen sollte, was wir besprochen haben. So die Theorie. 

 Das Ende vom Lied? Meine Ärztin erhilet einen Brief mit „Patientin hat Schwangerschaftsdiabetes“. Übrige Infos fehlten. Warum? Vielleicht Alzheimer beim Arzt? Sollte sich mal testen lassen… Ich habe drei Wochen lang fleißig gepiekst. Meine Werte waren immer top, nie zu hoch. An den Tipp der kompetenten Sprechstundenhilfe, ich solle doch meine Ernährung umstellen, habe ich mich nicht gehalten. Denn was sollte ich ändern? Vom ganz normalen Jieper auf Süßkram abgesehen, esse ich viel Obst und Gemüse und und und. Ich schrieb die Werte an die Diabetikerpraxis. Bis da mal eine Antwort kam, verging Zeit ohne Ende. Dann die Empfehlung per Mail: auch wenn die Werte gut seien, solle ich doch bitte noch einmal zu einem Gespräch kommen. Äh, warum? Ach so, klar… Pro Besuch verdient der Arzt 100 Euro. Die wollte er sich natürlich nicht entgehen lassen. Ich schrieb, dass ich nicht komme. Am besagten Tag, an dem ich die Praxis hätte aufsuchen sollen, klingelte das Telefon. Wo ich denn sei. Ich: Ich komme nicht, das habe ich Ihnen doch geschrieben. Anmerkung: Das war sogar zwei Wochen her. Hm, die Mail sei wohl noch nicht gelesen worden.
Auch in den letzten Wochen der Schwangerschaft piekste ich mich ab und zu. Flogen deshalb ab und zu Fledermäuse ums Haus? Auf der Suche nach meinem vermeintlichen Zuckerblut? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: die Werte waren immer gut. Trotzdem stand auf der Einweisung ins Krankenhaus: am Geburtstermin einleiten. Kommentar der Ärztin: „Sie glauben wohl nicht, dass wir Sie zehn Tage übertragen lassen.“ Eine Begründung? Fehlanzeige. Hm, vielleicht weil dann ein Kaiserschnitt möglich wäre und daran wird ja verdient hoch zehn. Eine Hebamme im Krankenhaus beruhigte mich: „Das können Sie verweigern.“ Außerdem bestand keine Gefahr für mich und das Baby. Und am 23. Juli kam ein quietschfideler Sommerspross auf die Welt. Nicht zu schwer, eher ein zartes Wesen von 2650 Gramm. Im Krankenhaus war auch keine Rede mehr von Diabetes.
Trotzdem konnte es meine Ärztin nicht lassen und mich bei der Nachsorge noch einmal auf den Test hinzuweisen. Dass die Werte nur einmal leicht erhöht waren, das ließ sie mich gar nicht erst sagen. Ausreden lassen, eine Patientin? Nein, erst recht nicht, wenn diese sich bei anderen Hebammen informiert hat, viel rund um Gestationsdiabetes las und überhaupt keine hohen Zuckerwerte mehr hatte. „Der Test zeigt es so.“ Nun gut, gelte ich halt weiterhin als süß mit niedrigem Blutzucker…. Was ich mir gewünscht hätte: Dass meine Zweifel in der Schwangerschaft ernst genommen werden und vielleicht einfach ein neuer Test gemacht wird. Aber Ärzte geben Fehler leider selten zu.

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