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Donnerstag, 28. April 2016

Zucker ist böse

Kennt ihr noch diese Müslischnitten aus dem Reformhaus? Ohne Schokolade, vollkommen spaßfrei und natürlich gesund. Anfang der 90er Jahre haben ernährungsbewusste Eltern diese nach Pappe schmeckende Zumutung an ihre armen Kinder verfüttert. Zucker ist schließlich schlecht für die Zähne! Wenn man nicht regelmäßig die Zähne putzt, kommen Karius und Baktus (Kinderbuch, das beim Zahnarzt im Wartezimmer lag). Lieber mal einen Apfel essen und dazu die besagten Schnitten in gräulich-langweiliger Verpackung. Ja, das war eine harte Kindheit. Während alle anderen Kinder in der Kirche den farbstoffhaltigen, knallroten Kirschlolly annehmen durften, mussten wir "Nein" sagen und knabberten an Karottensticks und Pappriegeln. Deshalb machen wir jetzt selbstverständlich alles anders! Ganz bestimmt! Vor kurzem gab es bei der Oma Eis als Nachtisch. Absolutes Tabu für den Sommerspross, sage ich. Da ist böser Zucker drin. Oma sieht es anders und lässt den Junior probieren. Der ist total begeistert, rastet beinahe aus vor Freude. "Mamamamam", ruft er freudig und strahlt über das eisverschmierte Gesicht.  Zuhause gibt es in der Regel nur diese spaßfreien Reiswaffeln und Hirsekringel. Die machen nur eine Riesensauerei und schmecken nach Pappe. Seinen Kindern wird der Sommerspross die mal nicht geben. Er weiß schließlich schon aus eigener Erfahrung, wie schlimm so eine Kindheit ist. Mama und Papa waren von der Eisaktion nur mäßig begeistert. Da ist der böse Zucker drin und der ist ganz schlecht für die kommenden Zähne. Das geht ja mal gar nicht. Papp-Riegel aus dem Reformhaus sind dagegen viel besser.
Zur Diskussion um Süßigkeiten hatte die Urgroßtante auch noch etwas hinzuzufügen. Was, der Knirps wird noch gestillt? Der braucht endlich was richtiges. Sonst wird aus dem kleinen dicken Gnubbel ja nichts. "Der braucht Schokoladenpudding", forderte die resolute Tante. "Nein!", sind sich Mama und Papa einig. Verständnislos schüttelt das Tantchen den Kopf. Das arme Kind wird viel zu kurz gehalten. Hoffentlich macht es mal alles anders...

Donnerstag, 14. April 2016

Geburtsbericht III: Friedlich und natürlich

Von einer Gastautorin
 „Ich mach einen Kaiserschnitt, beim Zahnarzt lass ich mir schließlich auch eine Betäubungsspritze geben“, war meine erste Vorstellung einer Geburt. Ich war gerade drei Monate schwanger und hatte mich noch nicht besonders mit dem Thema beschäftigt. Mir war nur klar: Ich will nicht schreiend, heulend und schreckliche Schmerzen leidend mein Kind herauspressen müssen. Alle Geburtsberichte, die ich aufgeschnappt hatte, verhießen aber genau das. Meine Schwester beispielsweise lag 36 Stunden in den Wehen, die PDA wirkte erst nicht, dann kam ihr Sohn unter Einsatz von Zange und Dammschnitt zur Welt. Na prima. Und sowas stand mir, die bereits bei der Blutspende fast umkippt und vor Schmerzen winselt, bevor. Denn dieses Kind musste ja irgendwie raus. Ich hatte Angst.
Als meine Tochter begann, sich spürbar zu bewegen, änderten sich meine Gedanken über Schwangerschaft und Geburt allmählich. Ich begann zu lesen, zu forschen und entdeckte irgendwo den beruhigenden Gedanken, dass die Natur uns nicht so falsch konstruiert haben kann, sonst gäbe es keine Menschen mehr. Ich war zunehmend verärgert über die vorgeschlagenen Voruntersuchungen, IGeL-Leistungen und die Pathologisierung der Schwangerschaft. Alles verlief prima, mir ging es gut und mein Kind gedieh prächtig. Dennoch versuchte meine Frauenärztin, mich zu sämtlichen Zusatzuntersuchungen zu überreden: „Wenn es MEIN Kind wäre, würde ich..“ begannen einige ihrer Sätze. Ich verließ mich auf mein Gefühl und nahm nichts als die Kassenleistungen in Anspruch.
Nachdem ich beim Zuckertest fast übers Ohr gehauen worden wäre (man wollte den kostenpflichtigen großen statt den kleinen Test machen, wie mit mir besprochen) beschloss ich nach einer Hebamme zu suchen, die eventuell die Vorsorgetermine übernehmen könnte. Frustrierend, denn die einzige, die noch Kapazitäten hatte, wollte mich nur behandeln, wenn ich einen Geburtsvorbereitungskurs mitmache. Darauf hatte ich aber keine Lust. Ich bin kein Kurstyp, hatte medizinisches Hintergrundwissen (Grundstudium der Medizin, Studium später abgebrochen, aber Grundlagen waren nun mal da) und war mittlerweile allergisch gegen Ratschläge und negative Berichte – sie verunsicherten mich! Ich fand eine andere Hebamme für die Nachsorge und ging vor der Geburt zur Akupunktur zu ihr – irgendwie hatte ich dabei ein gutes Gefühl.
Ich nahm Kontakt zu der Frau eines Freundes auf, die ihr Kind zuhause bekommen hatte. Durch sie bekam ich interessante Literaturempfehlungen (Michel Odent u.a.) und noch einmal einen wunderbaren Einblick in die Physiologie der Natur. Ich erinnerte mich an die Geburten die ich bei Katzen, bei einer Stute und bei einer Kuh beobachtet hatte – daran war nichts Panisches, Schreckliches, ganz im Gegenteil. Ich wurde immer gelassener und ersetzte das negative Bild von der Geburt, das ja allgegenwärtig ist, durch ein Friedliches. Ich besitze eigentlich ein gutes Körpergefühl und bin recht sportlich – im Vorjahr habe ich meinen ersten Triathlon absolviert. Das gab mir zusätzlich Selbstvertrauen.
Dann machte ich den Fehler, mein Kind nicht am Termin zu bekommen. Ich ging brav zur Vorsorgeuntersuchung und lag Stunden am CTG. Wenn das Kind schlief, musste ich es wecken. War es wach, musste ich warten, bis es sich beruhigte. Ich fand das sinnlos und frustrierend. Eine Einleitung kam für mich nicht infrage, zu viele Horrorgeschichten hatte ich gehört. ET+4 meinte eine Ärztin (ich war in meiner Wunschklinik, babyfreundliches KH) ohne mein Einverständnis etwas manipulieren zu müssen und versuchte plötzlich den Muttermund zu dehnen. Das tat wahnsinnig weh, ich blutete und fühlte mich…ja, wie vergewaltigt. Ich sagte ihr auch, dass das nicht abgesprochen war und ich das absolut nicht ok finde. Zuhause heulte ich den ganzen Abend. Meinem Kind ging es wunderbar (CTG, Ultraschall top) und ich ging erst wieder drei Tage später in die Klinik zur Untersuchung. Mit eingeredetem schlechtem Gewissen, klar. Vaginale Untersuchungen verbot ich den Ärzten, davon hatte ich genug.
In der Nacht zu ET+7 wachte ich gegen ein Uhr auf. Ich wusste sofort, dass das keine Übungswehen sind und mir war sofort schlecht. Ich musste heftig erbrechen, hatte Durchfall und heftige Wehen, die ich prima veratmen konnte – ohne Kurs, das kam automatisch. Ich lernte: „Ok, sieben Atemzüge und die Wehe ist vorbei“. Ich duschte, trug Wimperntusche auf – immer wieder unterbrochen von Wehen – und weckte meinen Mann. Der machte noch in Ruhe den Abwasch und packte alles zusammen und wir fuhren gegen ein Uhr in die Klinik. Dort war zum Glück nichts los, nur eine ältere Hebamme hieß uns willkommen. Ich kam prima klar mit den Wehen – wenn ich vornübergebeugt stehen durfte. CTG im Liegen kam also nicht in Frage. Sie akzeptierte das und fixierte das Gerät kurz im Stehen. Sie war sehr zurückhaltend und freundlich und ich fasste Vertrauen. Das CTG zeigte übrigens keine Wehe an, was witzig war, denn der Muttermund war bereits auf acht Zentimeter, als ich der Hebamme erlaubte, mich kurz in einer Pause zu untersuchen.
Ich konnte in die Wanne, was großartig war. Darüber hing ein Seil und ich zog mich in den Wehen immer daran hoch, dabei sang und jammerte ich ziemlich laut – das kam einfach und ich fühlte mich sicher, weil außer meinem sehr ruhigen Mann und der sehr ruhigen Hebamme im Nebenzimmer nichts störte. Das Licht war gedimmt, ich fühlte mich nicht ausgeliefert, sondern wie auf der Fahrradstrecke im Triathlon. Berg: Atmen, atmen, atmen- und das Rad fährt bergab.
Die Wehen wurden heftiger, ich spürte einen starken Druck nach unten. „Das sind fast schon Presswehen, dauert nicht mehr lang. Sie dürfen mithelfen, wenn Sie das Gefühl haben“ sagte die Hebamme, die das einfach an meinem intensiveren „Gesang“ zu hören schien. Sie sagte immer wieder, dass ich das wunderbar mache und fragte nur, ob ich was brauche – Wasser oder so. Es war nach 6 Uhr, es wurde hell und – „meine“ wunderbare Hebamme hatte Schichtende. Eine andere Hebamme kam, nett, aber viel „invasiver“. Die Wehen waren heftig und ich fühlte etwas Schleimiges zwischen meinen Beinen. Die Wehenpausen wurden plötzlich länger. Das fand ich prima, ich genoss die etwas längere Ruhephase. Die Hebamme nicht, sie meinte, sie müsse jetzt die Fruchtblase durchstechen. Ich war geistig nicht ganz anwesend und nickte nur. Ich merkte nicht, dass die Fruchtblase platzte, aber sah schwarze Babyhaare…Ich hatte den Drang in den Wehen aufzustehen: „Aber nicht übers Wasser kommen, wenn das Baby rauskommt, atmet es sonst Wasser ein“, meinte die Hebamme. Ich bin mir sicher, das verzögerte die Geburt etwas, aber schließlich kam mein Baby kam mit einer heftigen Presswehe komplett zur Welt.
Die Hebamme gab uns unsere Tochter sofort. Ich war völlig fasziniert und unfassbar glücklich. „Das mach ich nochmal“, sagte ich sofort. Ich sagte noch schnell: „Nabelschnur auspulsieren lassen“, da hatte Hebamme Nr. 2 sie schon durchtrennt, was mich etwas ärgerte. Aber ich hatte mein Baby! Leider nicht lang, denn sie sollte fix aus dem Wasser und durfte immerhin mit ihrem Papa kuscheln. Ich sollte bitte schnell die Plazenta gebären. Tatsächlich kamen Nachwehen. Die Hebamme fischte die Nabelschnur und zog. Ich schrie auf, denn das tat wahnsinnig weh. Die Plazenta kam heraus – und ich blutete heftig! Oxytocininfusion, eine genervte Ärztin, die kaum Deutsch sprach und mich extrem unsensibel nähte (kleiner Labien-Riss) – und das, obwohl ich nur mein Kind halten wollte. Ich hatte kurz Angst um mein Leben, so viel Hektik brach aus. Ich hatte einen Liter Blut verloren, dann stoppte die Blutung und alles war gut. Endlich.
Die nächsten Tage hatte ich meine Ruhe mit Mann und Kind. In der Klinik war ansonsten sehr geduldiges Personal, das einen durchaus in Ruhe ließ.
Ich habe die Geburt selbst als wunderbar erlebt. Ich hatte keinen Moment Angst (erst danach) oder Schmerzen, die ich nicht aushalten konnte. Ich brauchte keine Schmerzmittel, es ging mir gut! Eine Geburt ist nichts Furchtbares, wie Filme und negative Berichte immer wieder suggerieren. Nur das „Nachspiel“ hat mir diesen Eindruck leider etwas verdorben. Mein nächstes Baby möchte ich unbedingt zuhause bekommen – mit so wenig Unterbrechung wie möglich. 

Dienstag, 12. April 2016

Endlose Fragestunden

Es sind viele Fragen, denen wir Muddis im täglichen Windelwahnsinn ausgesetzt sind. Und die sind so wichtig, denn wie kann man die neuesten Entwicklungen erfahren, wenn man nicht nachfragt. Doch aufgepasst, es gibt durchaus Unterschiede in der Fragestellung. Nach knapp neun Monaten des Muddidaseins gebe ich zu, dass es durchaus Qualitäts- und Quantitätsunterschiede gibt. Ebenso gibt es Unterschiede bei den Personen, die die notwendigen und zuweilen doch auch überflüssigen Fragen stellen. Meine persönliche Lieblingsfrage und die ungeschlagene Nummer 1 bei allen Fragen ist: "Und? Schläft er schon durch?" Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, ob mein Göttergatte gemeint ist oder unser Kind. Dazu kann ich sagen, dass mein Mann einen sehr guten Schlaf hat. Falls mein Kind gemeint sein sollte, bin ich seit einigen Tagen der Meinung, dass er durchschläft. Von 19 bis 7.30 Uhr. Schließlich macht er nachts nicht die Augen auf, wenn er sich meldet. Also scheint er noch zu schlafen. Was ihn nachts quält, hat dann ab und an doch humane Gründe. Mit einer vollgepullerten Pampers schläft es sich eher unbequem. Zumindest scheint es unangenehm zu sein. Aber Sohnemann schnarcht auch auf dem Wickeltisch weiter. Denn er schläft ja durch. Trinken kann er im Schlaf. Ich hingegen wache nachts auf, weil ich Durst habe. Ja, denn mit meinen zarten etwas über 30 Jahren schlafe ich nachts nicht durch, sondern trinke zwei- bis dreimal Wasser. Es wäre mal ein Ansatz, andere Eltern zu fragen, ob sie durchschlafen und sie gegebenenfalls zur Schlafberatung zu schicken. Dann hätten unsere Kinder endlich Ruhe. Da die Frage nach dem Durchschlafen allerdings meistens von kinderlosen Mitmenschen kommt, wird man an dieser Stelle wenig Verständnis erhalten.
Ganz hoch im Kurs ist auch die Frage: "Dreht er sich schon?" Klaro, wenn endlich der Babyspeck da ist und alles knubbelt und speckig ist, haben Babys die optimale Figur, um wie ein Bällchen über den Wickeltisch, die Spielmatte, das Bett oder den Fußboden zu kugeln. Um das Ganze jedoch wieder abzutrainieren, darf die nächste sinnvolle Frage für blutige Elternohren nicht fehlen: "Krabbelt er schon?" Die Steigerung ist die bohrende Frage nach den Lauffähigkeiten des Sprösslings. Das dient natürlich nur dazu, um die stolzen Eltern gleich darauf hinzuweisen, dass Treppengeländer, Steckdosensicherungen und Fallschirme angebracht werden sollten. Jedweder Kleinkrempel, der bis dato auf dem Wohnzimmertisch lag, sollte doch bitte ebenfalls entfernt werden. Das wäre dann die Kategorie "Fragen von Eltern und Freunden".
Nur allzu gerne höre ich auch die Frage: "Wie, du stillst noch?" Muddi-Freundinnen von mir reagieren ähnlich begeistert auf die Frage: "Wie, du stillst nicht mehr?" Und nicht zu vergessen: "Wie, du gibst die Flasche?" Insgeheim stelle ich mir dann auch mal eine Frage. Nämlich die, was wir naiven und grunddoofen Eltern überhaupt richtig machen. So zwigespaltene Reaktionen gibt es auch bei anderen Themen. Beispielsweise die Frage danach, wann man gedenkt, wieder arbeiten zu gehen. Nur von zuhause aus zu arbeiten zählt da nicht. Ebenso ist man eine Rabenmutter, wenn das Kind mit einem Jahr in die Krippe geht. Versteh man einer diese Welt. Ich für meinen Teil fände ja ganz andere Fragen viel toller: "Möchtest du zum Mittagessen kommen?" oder "Darf ich deine Wäsche sortieren?" Maximal zweimal wurde ich in den vergangenen Monaten gefragt: "Wie geht es dir eigentlich als Muddi?" Gut. Aber es fragt ja kaum jemand...

Freitag, 8. April 2016

Geburtsbericht II: Schneller ist nicht unbedingt besser

Von einer Gastautorin
Ich habe bereits zwei Kinder zur Welt gebracht. Im Abstand von zwei Jahren. Beide sind spontan zur Welt gekommen. Beide ähnelten sich sehr in Bezug auf Größe, Gewicht und Kopfumfang.
So gering die Unterschiede bei den Körperabmessungen ausfielen – die Geburtserlebnisse waren so gegensätzlich wie das Geschlecht der Kinder.
Während meiner ersten Schwangerschaft setzte ich mich intensiv mit dem Thema Geburt auseinander. Ich las stundenlang in Büchern und im Internet. Fachliche Texte und Geburtsberichte. Ich war informiert über natürliche Geburten, selbstbestimmte Geburten, Blasensprung, Wehen, Geburtsorte, Kaiserschnitte, Not-Kaiserschnitte, Wunsch-Kaiserschnitte, die durchschnittliche Dauer einer Geburt, Geburtsverletzungen, PDA, Hypnose, Geburtszange, Saugglocke und eigentlich über alles, was im WWW zu finden ist. Und das ist wirklich eine Menge.
Trotz allem war ich absolut unvorbereitet, als ich 12 Tage vor dem errechneten Entbindungstermin am Abend einen Blasensprung hatte.
Der werdende Papa war noch nicht zu Hause. Ich saß auf dem Sofa im Haus meiner Eltern und verlor plötzlich einen kleinen Schwall Wasser. Meine Hose und auch das Sofa waren nass. Mein erster Gedanke war nicht „Das war das Fruchtwasser, jetzt geht es los, bald werde ich Mama sein“ – Nein! Mein erster Gedanke war „Super, jetzt hast du noch nicht mal mehr deine Blase unter Kontrolle.“ Erst als beim Wechseln der Klamotten das feine Rinnsal nicht stoppen wollte, wurde mir bewusst, dass es sich wohl um Fruchtwasser handeln musste. Dank meiner wochenlangen Studien wusste ich, dass im Falle eines Blasensprungs entscheidend ist, ob das Köpfchen des Kindes bereits ins Becken gesunken ist oder nicht. Da am Morgen beim Vorsorgetermin laut meines Arztes, das Köpfchen bereits startbereit im Becken lag, konnte ich auf das beängstigende Vorgehen mit dem Rettungswagen liegend ins Krankenhaus gebracht zu werden, verzichten. Stattdessen war ich die Ruhe selbst, setzte mich zurück aufs Sofa und legte die Beine hoch. Von Wehen war weit und breit nichts zu spüren. Ich bat meine Mutter für meinen Liebsten zu kochen, damit dieser noch etwas zum Essen bekäme, bevor ihm womöglich eine lange Nacht bevor stand. Dazu muss ich vielleicht erwähnen, dass mir das wirklich äußerst wichtig war, denn mein Liebster ist absolut unausstehlich wenn er Hunger hat – und welche Frau möchte einen schlecht gelaunten Mann im Kreißsaal haben? Dieser wollte natürlich gleich los, als er nach Hause kam und von dem bevorstehenden Ereignis hörte. Noch immer die Ruhe selbst, überzeugte ich ihn schließlich davon sich erst das Essen von Schwiegermutti schmecken zu lassen. Als wir ins Krankenhaus aufbrachen, war seit dem Blasensprung bereits eine Stunde vergangen und nach wie vor war keine Wehe in Sicht.
Mein Liebster hatte es im Auto dann ziemlich eilig, schließlich wird man ja nicht jeden Tag Papa. Vielleicht war aber auch der Gedanke an die Abschlussprüfung seiner Weiterbildung am kommenden Tag daran beteiligt. Ganz im Sinne – je schneller wir im Krankenhaus sind, desto schneller ist der kleine Mann vielleicht da. Dank der Prüfung hatte er ja einen gewissen Zeitdruck. Ich war weiterhin die Ruhe selbst und wir blicken noch heute sehr amüsiert darauf zurück, wie wir ausgerechnet auf dem Weg in den Kreißsaal in eine Polizeikontrolle kamen und gleichzeitig wild gestikulierend durch die geöffneten Fenster klar stellten, dass wir gleich ein Baby bekommen werden. Die netten Herren hatten scheinbar keine Lust, an einem kalten Dezemberabend auf offener Straße den Geburtshelfer zu spielen und schickten uns schnell weiter. Damit hat der kleine Mann wohl Papa den Führerschein gerettet und ihm ein saftiges Bußgeld erspart.
Im Krankenhaus angekommen meldeten wir uns im Kreißsaal. Das CTG zeigte keinerlei Wehen und die Untersuchung ergab einen Muttermund der 2cm geöffnet war.
Das war er allerdings, dank vorzeitiger Wehen, schon seit der 26. Schwangerschaftswoche. Da es im Kreißsaal nebenan etwas lauter wurde, schickte uns die Hebamme los – spazieren. In 1,5 bis 2 Stunden sollen wir wieder kommen. Vorher gab es noch ein Zäpfchen, dass den Muttermund weich machen soll. Wir wanderten also endlos durch die Krankenhausflure und unterhielten uns über dies und das. Innerhalb der nächsten 2 Stunden hatte ich genau zwei Wehen, die mich zwar kurz zum Stehenbleiben zwangen, aber ansonsten von den üblichen Senkwehen nicht zu unterscheiden waren. Zurück im Kreißsaal kam ich nochmals ans CTG und wurde untersucht. Weiterhin keine Wehen und auch am Muttermund war keine Veränderung eingetreten. Wir wurden in ein kleines Zimmer geschickt zum Schlafen „Ihr Baby wird sich wohl noch etwas Zeit lassen.“ Hätte ich kein Fruchtwasser verloren, hätten sie uns nach Hause geschickt. Um 23 Uhr schlüpfte ich also in meine Schlafsachen und legte mich ins Bett. Im Liegen fühlte ich mich plötzlich gar nicht mehr wohl und stand kurz darauf wieder auf und spürte meine erste richtige Wehe. Stehen bleiben, tief durchatmen. So fühlt sich das also an. Das bedeutet wohl, dass es jetzt vielleicht doch bald losgeht. Und dann stürzte ich zur Toilette, um mich zu übergeben. Innerhalb der nächsten 50 Minuten hatte ich 4 weitere Wehen. Zwischen diesen war ich weiterhin fast durchgehend damit beschäftigt, mich zu übergeben. Momentmal, davon hatte ich nirgends etwas gelesen und so hatte ich mir die Geburt auch überhaupt nicht vorgestellt. Wir klingelten nach der Hebamme, diese erklärte uns, dass es durchaus sein kann, dass der Körper auf die Schmerzen durch die Wehen mit Übelkeit reagiert und bot mir an, mir ein Schmerzmittel zu spritzen, damit wir noch ein bisschen schlafen könnten, bevor es „richtig losgeht“. Dankend nahm ich das Angebot an. Als ich die Spritze mit den Worten „dauert jetzt ca. 30 Minuten bis sie wirkt“ bekam, war es ein paar Minuten nach Mitternacht. Die Übelkeit hatte nach der letzten Wehe etwas nachgelassen und ich wollte mich gerade wieder hinlegen, als ich wie aus dem Nichts heraus das Bedürfnis hatte zu pressen. Mein Liebster wirkte etwas irritiert und fragte mich, ob er nochmals nach der Hebamme klingeln sollte. Ich verneinte dies vehement – sie ist ja gerade erst zur Tür rausgegangen. Ich wusste ja aus Büchern und Erzählungen, wie eine Geburt abläuft, dass für gewöhnlich mehrere Stunden regelmäßige Wehen nötig waren, um den Muttermund vollständig zu öffnen – somit war für mich eindeutig klar, dass es sich hierbei noch nicht um Presswehen handeln kann. Eine weitere Presswehe. Erneut die Frage meines Mannes, ob es nicht besser wäre, nach der Hebamme zu klingeln. Bei der dritten Presswehe tat er dies dann auch. Zu diesem Zeitpunkt verlor ich jegliche Orientierung und jedes Zeitgefühl. In Bruchstücken erinnere ich mich daran, dass ich in den Kreißsaal gebracht wurde, dort auf einem Bett ein paar weitere Presswehen hatte, jemand mit mir sprach – aber nicht daran wer es war und was gesagt wurde. Meine Erinnerung wurde klar mit der letzten Presswehe, die Wehe bei der ich einen Schrei ausstieß und mit der plötzlich ein Adrenalinschub durch meinen Körper schoss. Es war 0.26 Uhr. Mein Sohn wurde mir auf die Brust gelegt und ich war total überwältigt. Ja, es war dieses Gefühl, welches einem zuvor so oft beschrieben wurde. Ich war glücklich. Schmerzen hatte ich keine, was wohl auf die Mischung aus Adrenalin und der Schmerzspritze, die nun ihre 30 Minuten „bis sie wirkt“ hinter sich hatte, zurückzuführen war. Ein Arzt kam, ich hatte Geburtsverletzungen und musste genäht werden. Mir war alles egal, ich schwebte im siebten Himmel und hatte nur noch Augen für meinen Mann und meinen Sohn. Als der Adrenalinpegel wieder sank, kam auch die Übelkeit zurück. Dieses Mal nicht mehr so heftig, wie während der Wehen und sie verschwand auch nach kurzer Zeit wieder. Meine Nachsorgehebamme erklärte mir später, dass die Übelkeit wohl daher kam, dass meinem Körper alles zu schnell ging: Der Muttermund öffnete sich um die restlichen 8cm mit nur 5 Wehen – innerhalb einer Stunde. Auch für meinen Kopf war es zu schnell, mir fehlen Erinnerungen und ich fühlte mich um ein eine besondere Erfahrung betrogen.
Oft wurde mir gesagt, ich solle doch glücklich darüber sein, dass die Geburt so schnell ging, besser als stundenlang in den Wehen zu liegen. Ich hatte keine Vergleichsmöglichkeiten und so war ich letztlich einfach froh, dass alles vorbei war.
Umso dankbarer war ich nach der Geburt meiner Tochter, diese dauerte zwar länger, aber ich habe sie bewusst erlebt und habe eine besondere Erfahrung mitgenommen, ganz ohne Erinnerungslücken. Und ohne Übelkeit.
Die Geburt begann kurz nach Mitternacht, genau 1 Woche vor dem errechneten Geburtstermin. Ich wachte auf, weil ich Wehen hatte. Keine schmerzhaften Geburtswehen. Wehen, die sich anfühlten wie die zahlreichen Übungs- und Senkwehen der letzten Wochen. Aber sie waren regelmäßig – sie kamen alle 10 Minuten. Ich spürte eine absolute Ruhe in mir. Schlafen konnte ich nicht mehr, meinen Mann aufwecken und ins Krankenhaus fahren? Nein. Mein Gefühl sagte mir, dafür ist es noch zu früh. So lag ich im Bett und stoppte die Abstände der Wehen und ging in Gedanken durch, ob ich an alles gedacht hatte. Ich wollte ambulant entbinden. Nach zwei Stunden Kreißsaal direkt nach Hause fahren zu meinem 2-jährigen Sohn, musste also auch schon alles für die Heimfahrt dabei haben und die Telefonnummer von meiner Nachsorgehebamme. Um 3 Uhr waren die Wehen zwar noch immer nicht stärker, dafür aber in einem Abstand von 3 Minuten. Ich weckte also meinen Mann, wir machten uns gemütlich fertig,  verständigten die Oma, die auf den Großen aufpassen würde und machten uns auf den Weg. Zügig aber nicht übertrieben schnell. Wir kannten das Wunder der Geburt ja schon und am nächsten Tag wartete auch keine Prüfung. Unterwegs gab es auch keine Polizeikontrolle – woran wir uns amüsiert erinnerten, als wir an der besagten Stelle vorbeifuhren. 4 Uhr - Im Krankenhaus angekommen wurden wir herzlich von einer Hebamme empfangen, die uns bestätigte, dass unsere Tochter wohl noch heute auf die Welt kommen wird. Das CTG zeigte regelmäßige Wehen und der Muttermund war bereits 3cm geöffnet. Ich wollte gerne noch ein bisschen spazieren gehen und wir vereinbarten, dass wir in einer Stunde zurück sind und ich dann gerne zur Entspannung baden möchte. Gleich in der Geburtswanne – eine Wassergeburt stellte ich mir sehr schön vor. 5:30 Uhr – kurze Untersuchung als wir zurück waren, der Muttermund ist bei 5cm angekommen, jetzt geht’s in die Wanne. Dort lag ich dann ganz entspannt am CTG angeschlossen – die Wehen kamen weiterhin im Abstand von 3 Minuten und waren noch immer nicht schmerzhaft. Die Hebamme bedauerte, dass sie die Kleine wohl nicht mehr kennenlernen wird, weil gleich Schichtwechsel ist und verabschiedete sich von uns. Während sie im Zimmer nebenan „Übergabe“ machte, bereitete ich mich mental darauf vor, dass nach so einer liebreizenden Hebamme nun bestimmt der absolute „Drache“ auf uns losgelassen wird. Herein kam kurze Zeit später die Hebamme, welche bereits bei der Geburt unseres Sohnes dabei war. Da keine weitere werdende Mama im Kreißsaal war, hatte sie ausschließlich Zeit für uns und wir plauderten angeregt. Zwischendrin überprüfte sie die Wehenabstände und den Muttermund. Die Wehen kamen weiterhin alle 3 Minuten, hatten aber keinerlei Wirkung mehr auf den Muttermund. Wehenschwäche nennt man das – so die Info. Normalerweise kommt in solchen Fällen ein Wehentropf zum Einsatz, um die Wirkung zu verstärken. Wie es denn bei der ersten Geburt gewesen wäre. Wir schilderten kurz, dass die Geburt mit einem Blasensprung begann und die Wehen dann äußerst effektiv waren. Mit unserem Einverständnis verzichtete sie auf den Einsatz des Tropfs und öffnete die Fruchtblase.
Schon kurz darauf verstärkten sich die Wehen. Ich war nicht mehr so entspannt und musste mich voll und ganz aufs Atmen konzentrieren. In den Pausen zwischen den Wehen scherzten und plauderten wir weiter. Mein Mann ließ das CTG nicht aus den Augen und hatte seine größte Freude daran mir mitzuteilen, wenn er erkannte, dass sich wieder eine Wehe aufbaut. Als ob ich das nicht spüren würde ;-)
Gegen 8:15 Uhr wurde es immer schwieriger die Wehen zu veratmen. Auch fühlte ich mich in der Wanne nicht mehr wohl und überhaupt hatte ich gar keine Lust mehr, ein Baby zu kriegen und wollte lieber nach Hause. Als ich gerade den Wunsch äußern wollte, aus der Wanne herauszusteigen, setzten die Presswehen ein. Ich sagte nichts, ein Ende war zu sehen. Die Wehenschmerzen waren weg, jetzt war da einfach nur ein heftiger, unangenehmer Druck im Unterleib, aber jetzt konnte ich etwas tun. Nicht nur atmen. Ich erlebte jede Presswehe bewusst mit und versuchte mich in den Pausen zu entspannen. Zwischendurch kam ein Arzt vorbei, stellte sich vor und fragte ob alles in Ordnung sei. Auch dieses Mal war die letzte Presswehe die schmerzhafteste, aber es folgte der Adrenalinschub und wieder das unbeschreibliche Glück mein Baby in den Armen zu halten.
Das Schlimmste an der Geburt war für mich das Aussteigen aus der Wanne. Das Aufstehen mit der plötzlichen Leere im Bauch und leider fand auch mein Kreislauf das lange Baden in Kombination mit einer Geburt nicht so toll und verabschiedete sich kurzzeitig. Dieses Mal hatte ich nur eine leichte Geburtsverletzung davongetragen, die schnell genäht wurde. Ich genoss das Kuscheln mit meiner Tochter und schoss bereits das erste Foto. Mein Kreislauf erholte sich leider nicht ganz so schnell, so dass aus der ambulanten Geburt letztendlich doch ein 24-stündiger Krankenhausaufenthalt wurde.
Aber das Beste: Ich konnte nach dem schönen Geburtserlebnis meiner Tochter für mich persönlich einen Vergleich ziehen und bin zu dem Schluss gekommen: Schneller ist nicht unbedingt besser.

Donnerstag, 7. April 2016

Spann den Beckenboden an

Ich gebe es zu: Bis vor vier Jahren war mein zweiter Vorname Couchpotato und von irgendwelchen sportlichen Aktivitäten war ich in etwa soweit entfernt wie unser Nachwuchs vom Durchschlafen. Dann folgte der Motivationsschub, zwei Triathlon, Marbacher Gassenlauf, Halbmarathon und sonstige Sperenzchen. Den Halbmarathon in Paris habe ich mir dann doch geschenkt - im sechsten Monat und mit anhaltender Übelkeit war mir das doch etwas zuviel. Aber ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder die Laufschuhe zu schnüren. Aber, aber, aber: Der Beckenboden! Von allen Seiten kommen Ermahnungen, Hinweise auf Tena Lady und die Gefahr, auf den Treppenstufen Pinkelflecken zu hinterlassen. Trotzdem: Ich habe ein Ziel vor Augen, nämlich den Marathon in Berlin in diesem Jahr. Wie ich als immer noch voll stillende Mutter mit einem selbstständigen Ehemann vier Trainingseinheiten pro Woche hinbekommen soll, weiß ich zwar auch noch nicht. Aber das ist ein anderes Thema. Erstmal heißt es wieder fit zu werden. Und natürlich den Beckenboden zu trainieren. Und wie ich den trainiere. Man kann den ja immer anspannen. Während man einen Blog schreibt beispielsweise. Oder das Spiel mit der Vorstellungskraft und einer Mandarine, während man an einer roten Ampel steht. Wahrscheinlich ist mein Beckenboden mittlerweile so stahlhart wie die Nerven einer Mutter, nachdem endlich der erste Zahn da ist. Erschüttern kann einen da ja nichts mehr. Nun gut, das Problem Beckenboden ist eine Baustelle. Aber wie geht man trainieren? Man beginnt mit einem Spaziergang - kleiner Tipp am Rande: Entweder man sucht sich ebenfalls kinderwagenschiebende Muttis oder freundet sich mit den Nachbarn an, die Hunde haben. Mit dem Baby in der Tragehilfe oder im Kinderwagen lernt man ganz schnell zu traben. Versucht doch mal, einem Deutschen Schäferhund hinterherzurennen, der gerade eine Erdscholle entdeckt hat und meint, es sei ein schöner, fetter Feldhase. Intervalltraining ist nichts dagegen. Man kann natürlich auch mit anderen Muttis morgens um 6 Uhr das Lauftraining absolvieren. Dann sollte allerdings der Ehemann mitspielen und nur zu freudig die Bespaßung des Sprösslings übernehmen (mit solchen Ideen warte ich daher noch ein bisschen). Idealerweise kann das Kind irgendwann endlich sitzen und da man natürlich die letzten Ersparnisse in den Kauf eines multifunktionalen Kinderwagens investiert hat, ist man stolzer Besitzer eines KinderwagenBuggyBabyjoggers mit integrierter Superfederung, Airbag und Seitenaufprallschutz. Damit kann der Feldweg unsicher gemacht werden. Unabhängig von Laufpartnern, mit denen es sich zwar angeregt tratschen lässt, deren Tempo sich jedoch dem Schneckentempo der einstigen Rennsau (ok, übertrieben) anpassen muss. Sind dann so Spontanideen wie eine Staffel beim mz3athlon, ein gemütlicher 10-Kilometer-Lauf bei den Courses de Strasbourg zu handfesten Plänen geworden, gilt es nur noch eines zu beachten: wer bespaßt das Kind? Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Superbaby kurz vor dem Start noch gestillt, dann dem Papa in den Arm gedrückt und wenn man endlich das Ziel erreicht hat, darf dieser nicht nur eine Champagnerflasche à la Formel 1 über der glücklichen und beckenbodenspannenden Muddi ausschütten, sondern gleichzeitig auch das Kind auf dem Arm jonglieren. Variante II heißt, dass man die Patentante mitnimmt. So kann Muddi rennen und Sohnemann wird abgeknutscht, geknuddelt und von vorne bis hinten bespaßt. Ob er eines Tages Knutschen mit Mama geht laufen verbindet, steht auf einem anderen Blatt.